Der Altar der Matthäus-Kapelle Wehnsen

Eine theologische Erklärung der Bildmotive von Detlef Lienau

Der Flügelaltar zeigt in der Mitte die Kreuzigungsszene. Auf der rechten Tafel steht der Auferstandene mit dem Siegesfähnchen. Ungewöhnlich ist das Motiv der linken Tafel: Links steht eine Figur mit den zwei Tafeln des Gesetzes (auf der linken die drei Gebote be­ziffert, die sich auf Gott beziehen, auf der rechten, die das menschliche Zusammenle­ben regeln). Durch diese Tafeln ist die Figur eindeutig als Mose erkennbar. Sie weist auf ein rechts stehendes Kreuz, um dessen Bal­ken sich eine Schlange windet. Wer sich zu­nächst an die Schlange vom Sündenfall erin­nert, ist zunächst in die Irre geführt worden, denn weder findet sich hier der Baum des Le­bens noch Adam und Eva. Eindeutig ist die in 4. Mose 21, 4-9 geschil­derte Geschichte dargestellt: 4 Da brachen die Israeliten auf von dem Berge Hor in Richtung auf das Schilfmeer, um das Land der Edomiter zu umgehen. Und das Volk wurde verdrossen auf dem Wege 5 und redete wider Gott und wider Mose: Warum hast du uns aus Ägypten geführt, dass wir sterben in der Wüste? Denn es ist kein Brot noch Wasser hier und uns ekelt vor dieser mageren Speise. 6 Da sandte der HERR feurige Schlangen unter das Volk; die bissen das Volk, dass viele aus Israel starben. 7 Da kamen sie zu Mose und sprachen: Wir haben gesündigt, dass wir wider den HERRN und wider dich geredet haben. Bitte den HERRN, dass er die Schlangen von uns nehme. Und Mose bat für das Volk. 8 Da sprach der HERR zu Mose: Mache dir eine eherne Schlange und richte sie an einer Stange hoch auf. Wer gebissen ist und sieht sie an, der soll leben. 9 Da machte Mose eine eherne Schlange und richtete sie hoch auf. Und wenn jemanden eine Schlange biss, so sah er die eherne Schlange an und blieb leben. Anmerkung: Die Geschichte ist ein Hinweis darauf, dass der Glaube an die Magie von Tieridolen auch unter Mose nicht vollständig aus­gerottet war, wie es die Geschichte vom Goldenen Kalb vielleicht meinen lässt.

Foto: Förderverein Martin-Luther Edemissen e.V.

Das Original des Bildes wurde später im Jerusalemer Tempel aufbewahrt und beweihräuchert. Ein jüdischer König ließ es dann zerstören, was die Bibel ausdrücklich als gottgefälliges Werk bezeichnet. So ändern sich die Zeiten. Dieses hier gezeigte Bildmotiv ist typisch für protestantische Merkbilder, besonders wenn es in Zusammenhang mit der Kreuzigung be­gegnet. Wegen dieser Entsprechung wird die Stange wie beim Kreuz mit einem Querholz verse­hen. Schauen wir jetzt zurück auf die Ge­schichte vom Sündenfall: Durch die Schlange kommt die Sünde (und damit der Tod) in die Welt. Jesus ist zur Heilung unserer Sünde ans Kreuz gegangen („Holet für euren so giftigen Schaden, Gnade aus dieser unendlichen Füll" (EG 66,7) oder Gregor von Nyssa 334-394: „Brot und Wein des Abendmahls sind das Ge­gengift gegen den Giftstoff, der mit der Sünde in den Menschen eingedrungen ist."). Wer zur Stange mit Schlange aufblickt wird vom Biss der Schlange medizinisch geheilt. Genauso wird der, der von der Sünde vergiftet ist vom Blick auf das Kreuz geheilt (also durch den Glauben an Gottes Gnade). Das Alte Testament ist Typos (Vor-Bild) des Neuen Testamentes, das das Alte überbietet. Das alte Testament wird also als Hinweis auf das - entscheidende – neue Testament verstanden. Der Zusammenhang mit dem rechten Altar­flügel ist deutlich schwächer. Er schließt zeit­lich zugeordnet an und ist auch inhaltlich eine Art Fortsetzung: Wer auf den Gekreu­zigten schaut wird mit ewigem Leben belohnt. Er wird Jesus auch beim Durchschreiten des Todes und bei der Auferstehung folgen.

Altaraufsatz unten: Ein Christus-Abbild auf einem fast durchsichtigen Tuch ist dargestellt, das von zwei seitlichen Engeln getragen wird. Diese Darstellung erinnert an das „Schweiß­tuch der Veronica". Sie hat nach einer nicht-biblischen Legende das Gesicht Jesu auf sei­nem Weg zum Kreuz abgetrocknet, worauf ein Abdruck seines Gesichts auf dem Tuch verblieb, das im Vatikan aufbewahrt wird. Diese Tradition entstand im 13. Jahrhundert.

Foto: Förderverein Martin-Luther Edemissen e.V.

Es wird vermutet, dass es sich in Wirklichkeit um eine byzantinische Ikone handelt und dass der Name Veronika lediglich eine Per­sonifikation von „vera icona" (zu deutsch „wahres Abbild") darstellt. Abbildungen zei­gen in der Regel die heilige Veronika - oder wie in Wehnsen - zwei Engel, die das Schweißtuch halten. Überraschend ist dieses mehr katholische oder orthodoxe Motiv auf einem evangelischen Altar. Der dahinter liegende Gedanke ist: Wer das Abbild des leidenden Jesu sieht, der wird durch den Anblick des Göttlichen in das heilvolle Geschehen hinein genommen. Du blickst in die Augen des Heilands, er trägt gerade deine Sünde und Schuld und deshalb darfst du leben.